Ein heißgeliebter Held

Erinnerungen an 20 gemeinsame Jahr mit unseren Stubentigern. Inzwischen sind wir bei Katze Nummer 8 angelangt.

 

Nero, von 1982 bis 1990 bei uns. Mit 6 Wochen haben wir ihn aus dem Botnanger Tierheim adoptiert.

 

Spitznamen: Nelo, Neho, Ei, alles Namen, die Johannes zuerst erfunden hat.

 

Am Anfang war ein Traum. In diesem umsorgte ich eine schwarze Katze mit gelben Augen, schwarzen Pfötchen mit weißen Söckchen, weißem Näschen und einem weißen Lätzchen. Einfach eine Traumkatze, die jeder gernhaben musste. Und das Wichtigste war - sie gehörte mir.

 

In den Sommerferien 1982 reifte der Entschluss, einem Kätzchen aus dem Botnanger Tierheim unser Herz und unser Heim anzubieten. Wenn möglich, sollte es auch noch der Traumkatze wenigstens ein bisschen ähnlich sehen.

 

Mit diesen genauen Vorstellungen begaben Thomas und ich uns ins Tierheim. Große Enttäuschung folgte auf die Frage nach einer schwarzen Katze mit Weiß, siehe oben. „Schwarze Katzen haben wir im Moment leider keine.' So lautete die Auskunft auf unsere Anfrage. Als sie unsere enttäuschten Gesichter sah, hatte eine andere Mitarbeiterin doch noch eine hilfreiche Idee. In der Quarantäne sei seit ein paar Tagen ein 6 Wochen alter, verletzter schwarzer kleiner Kater. Der dürfte aber eigentlich noch nicht vermittelt werden, da noch Fäden in seinem genähten Hinterfuß seien. Ich bettelte und bettelte, dass wir ihn wenigstens ansehen durften.

 

Als ich das kleine Katerchen auf den Arm nahm, schnupperte er mich ab und beschloss, er könne mich durchaus gut riechen. Ab sofort schnurrte er ganz laut und konnte nicht mehr damit aufhören. Er hatte uns im Sturm erobert!

 

Übrigens, wie er aussah? Natürlich nur ein bisschen wie die Traumkatze, aber das war auf einmal nicht mehr wichtig. Sein Fell war durchgehend schwarz, nur so 4-5 weiße Härchen zierten seine kleine Heldenbrust. Die Augen waren honigfarben mit einem olivgrünen Ring um die Pupille - bildschön.

 

Mein Beruf überzeugte, dass wir das Katerchen sofort mitnehmen durften und zuhause gesund pflegen konnten. Die Verletzung stammte von einem Gewehr oder einer Falle. Tierliebe Spaziergänger hatten das Tierchen verletzt im Wald aufgelesen und ins Tierheim gebracht.

 

Ab jetzt begannen hektische Zeiten. Wir lernten, dass Kater sehr sensible Wesen sind und bei der kleinsten Änderung im Tagesablauf mit Durchfall und Kistchenverweigerung reagieren.

 

So ein Sch...

 

Mangels Erziehung durch seine Katzenmutter hatte Nero null Ahnung, wie die Körperpflege funktioniert. Also mussten wir ihm mit einem nassen Waschlappen das verklebte Fell waschen - und siehe da, überall wo er nass wurde, schleckte er sich trocken. Das war die Chance für eine systematische Waschlernstunde, und der schlaue Kater lernte schnell.

 

Ein Problem war nun gelöst, aber ab jetzt benützte er die Badewanne als Kistchen. „Warte, dich krieg'ich, warnte ich und ließ 5 cm hoch kaltes Wasser in die Wanne laufen. Das hätte ich mir sparen können, denn kaum war die Wanne ‚katzensicher', stolzierte Nero genüsslich kneippend durch die Wellen. Oh du Katzentheater! Eins zu null für den frechen Kerl!

 

Die Verletzung war bald verheilt und der Dünnpfiff durch Medikamente verschwunden. Nero wuchs zusehends in seinen stolzen Namen hinein. Seine Spielstunden wurden immer umtriebiger, so übte er zum Beispiel Purzelbaum entlang einer Türe, Schwänzchen fangen bis zum Drehwurm, er versuchte ein Fellstück wegzutragen, auf dem er noch stand und und und. Unsere Lachmuskeln entwickelten sich täglich mehr. Ein absolutes Lieblingsspiel zwischen Nero und Thomas wurde das Anvisieren über eine Ecke. Die Spannung löste sich erst, wenn der total aufgeregte Kater Thomas mit eingezogenen Krallen ins Gesicht sprang. Dies war eine Mutprobe für beide Seiten.

 

Beim Spazierengehen an der Katzenleine entwickelte der Held sich zum Hundeschreck. Kleinere Hunde stellte er und wich keinen Schritt zurück. Beinahe habe ich mich für diese Hundegefahr geschämt. Die alten Obstbäume am Waldrand besaßen eine besondere Anziehungskraft. Was machen meine Menschen, wenn ich samt Leine blitzschnell auf den Baum klettere und nicht mehr so schnell wieder herunter will? Klettern sie mir nach oder holen sie eine Leiter oder wird mir unten ein besonderer Leckerbissen angeboten? Der Einfallsreichtum meiner Menschen ist faszinierend!

 

Nero übte sich als Ausreißer außer Haus und verschwand auch schon mal auf dem Nachbarbalkon - Seiltänzern im 3. Stock!

 

Ein Riesenkater aus dem Nachbarhochhaus hatte es unserem Kleinen besonders angetan. Micky wog so an die 10 kg und führte sich alleine spazieren. Die beiden vertrugen sich recht gut, und kaum ein Spaziergang verging ohne Mickykontakt.

 

Hatte unser Liebling beschlossen, so groß und schwer wie der Nachbarskater zu werden? Man konnte es fast glauben. Die Futterschüssel wurde immer fein säuberlich ausgeschleckt, und Brekkies schmeckten zum Süchtigwerden gut. Die Waage zeigte nach zwei Jahren 8 kg Lebendgewicht an. In Gestalt von Ming war jetzt auch noch eine Futterkonkurrenz bei uns eingezogen. Die beiden ewig hungrigen Knaben veranstalteten regelrechte Wettfressen. Na ja - viel Freß, viel Bamb. Vor dem Kistchen musste nun in der Warteschlange ausgeharrt werden.

 

Nero hatte jetzt das richtige Gewicht für eine Fähigkeit, die uns sprachlos machte: Er öffnete Türen mit einem Sprung auf die Türklinke! Nach kurzer Zeit war dieses Kunststück perfekt eingeübt und nichts vor den Katzen mehr sicher. Wenn Ming Brekkies wollte, verständigte er sich mit Nero, der dann mit einem Sprung die Kämmerlestüre öffnete, und die beiden Ganoven schmissen dann die Brekkieschachtel im Regal um und schmaussten nach Herzenslust.

 

Ab jetzt begann die Zeit der verschlossenen Türen und der nach oben verdrehten Türklinken - alles katzensicher.

 

Diese entschlossenen Schmusetiger brachten auch die Erziehung von uns Menschen bezüglich morgens Tag für Tag früh aufstehen und Katzenfrühstück servieren trotz Protest unsererseits zum erfolgreichen Abschluss.

 

Die Familie Bühler-Krimmer hat das Examen als Katzenbutler erfolgreich bestanden! - bescheinigten die beiden strengen Lehrmeister.

 

Nicoles Liebling war Nero. In dieses schnurrende, weiche Fellkissen hatte sie sich bis über beide Ohren verliebt. Wäre er doch nur ein Mensch, sie würde ihn vom Fleck weg heiraten! Zu solchen laut ausgesprochenen Gedanken blinzelte der Erwählte nur und setzte sein Mittagsschläfchen fort.

 

Zum besonderen sportlichen Vergnügen für die zwei nimmermüden Umtreiber entwickelte sich das Turmspringen vom Bücherregal auf die ahnungslos auf ihrem Bett lesende Nicole. Ein schockierter Aufschrei als Applaus war garantiert!

 

Diese immer hungrigen Familienmitglieder fraßen uns beinahe die Haare vom Kopf. Thomas hohe Stirne legt davon Zeugnis ab, aber beim Nachhausekommen von erwartungsvollen Katzengesichtchen und hocherhobenen Schwänzchen begrüßt zu werden, machte alles wieder wett. Diese Racker hingen nämlich sehr an ihm und strichen ihm schmeichelnd um die Füße.

 

In der Adventszeit mussten wir Angst um die brennenden Kerzen auf dem Tisch haben. Ming machte Kerzenflammenfangen zu seinem Hobby und blieb auch unbeeindruckt, wenn er schon angekokelt duftete. Eine ‚schwere Anschaffung war ein Christbaumständer aus dickem Stahl. Der Tannenbaum erwies sich als beliebtes Ausflugsziel, und mit dem Baumschmuck konnten sich die gelangweilten Pfoten optimal beschäftigen.

 

Eine große Veränderung bahnte sich an. Durch den Umzug ins ruhige Nellmersbach erhielten unsere Stubentiger zum Ersten Mal die Gelegenheit, die freie Natur ohne Leine zu erkunden. Sie erwiesen sich als sehr zuverlässig beim wieder Heimkommen. Keine 5 Minuten dauerte es, wenn sie mit Brekkieschachtelgeschüttel und liebevollen Rufen nach Hause gelockt wurden. Wozu sich einen Hund halten, wenn auch Katzen so folgsam sind?

 

Na ja, Versteckenspielen musste aber trotzdem immer mal wieder sein. Nero zum Beispiel hatte sich in der geschlossenen Hochhauswohnung einen halben Tag lang spurlos in Luft aufgelöst. Alle Schränke wurden durchsucht, alle Zimmer genau inspiziert, und wo war er letztendlich? - schlafend im Bettkasten. Das alte Lied: „D' Bäure hot d Katz verlora, woiß net, wo se isch. . ." konnte wiederholt nacherlebt werden.

 

So dachten wir uns auch nichts Böses, als Ming eines Abends nicht mehr auftauchte. Zu unserem großen Kummer blieb er aber verschwunden.

 

Während wir Menschen uns Sorgen machten und täglich um die Rückkehr des Vermissten beteten, lebte Nero richtig auf. Er war jetzt wieder eine Einzelkatze und genoss das sichtlich. Doch dieser Zustand würde sich bald ändern. Diesmal kam der Rivale von der Menschenseite. Ich war schwanger, und der Schoßplatz wurde immer kleiner. Von außen machte der zufriedene Kater Tip-Tap auf meinem Bauch, und von innen arbeitete der neue Erdenbürger dagegen. Übten die beiden Morsen?

 

Als das Kinderbettchen gerichtet war, wurde dies ein neuer Magnet im Katzenalltag. ‚Warum werde ich immer wieder aus meinem neuen, extra kuschligen Körbchen vertrieben? Ich kapier das nicht. Diese Menschen sind doch wirklich komisch!' Und eines Tages war ‚das Körbchen' dann auch noch belegt, und keiner schimpfte! Nero stellte sich auf die Hinterfüße und schaute sich dieses neue zappelnde und so gut nach Milch duftende Minimenschlein mit gerunzelter Stirn an. Was konnte man damit anfangen? Doch der kluge Lieblingskater benahm sich ab diesem Zeitpunkt vorbildlich und wartete einfach noch ein paar Monate ab.

 

Unser Herzenssohn Johannes war von diesem lebendigen, immer geduldigen Spielzeug, das immer in seiner Nähe herumstrich, fasziniert. Mit seinem ausgestreckten kleinen Zeigefinger stupste er vorsichtig in das verlockend weiche Fell. Eines seiner ersten Worte lautete „Ei" für Katze und Schmusen. Ärgerlich wurde Johannes, wenn er nicht aus seinem Laufstall herauskonnte, Nero mit den Gitterstäben aber keine Ausbruchsprobleme hatte.

 

Dafür, dass sich unser Familienalltag nicht allzu langweilig gestaltete, sorgten der Menschen- und der Katzenjunge nun gemeinsam.

 

Nero hatte die echte Mäusejagd entdeckt. Stolz brachte er seine Beute nach Hause und erwartete größte Begeisterung der Menschen für seinen Futterbeitrag zum allgemeinen Essen. Entwischte die noch lebendige Maus aber in der Wohnung, sah's bei uns in Kürze aus wie in Loriot's ‚Das Bild hing schief'.

 

Sachen wie Nicole's Fallerautorennbahn erwiesen sich als ausgezeichnete ‚elektrische Mäuschen', die auch von einer flinken Katze nicht immer zu fangen waren. War Nero erschöpft, legte er sich einfach auf die Rennstrecke und lauerte, dass ihm ein Auto direkt in die ausgefahrenen Krallen fahren sollte. In der Weihnachtszeit sorgte dann die Modelleisenbahn mit den entgleisbaren Zügen für Abwechslung.

 

Zum Faulenzen und Ausruhen quetschte sich der dicke Kater irgendwie zwischen Heizung und Fenstersims und ließ sich durchbraten. Auf dem Boden bevorzugte er die Rückenlage mit allen vier Pfoten nach oben gestreckt. Im Winter trieb ihn die Sorge um eventuell kalte Ohren bis weit unter meine Bettdecke. Mindestens bis zu meinen Beinen tauchte er ab und genoss das vorgewärmte Körbchen.

 

Tierarztbesuche waren für ihn der reinste Horror. Schon auf dem Hinweg im Auto fing er an, stark zu haaren, und bis zur Ankunft hatte er sich in ein hohes Fieber hineingesteigert. Wieder daheim, zeigte er sich wieder als unerschrockener Kerl und legte sich sogar mit einem Schäferhund an, dem er am Hals hing und den man vor diesem größenwahnsinnigen Kater retten musste.

 

Inzwischen war unser eigenes Haus im Schwalbenweg bezugsfertig. Nero zog wieder mit uns um und hatte jetzt die beinahe unendliche Freiheit am Rande der Felder mit Mäusen bis zum Abwinken. Sein Katzengesicht hatte einen beinahe lachenden Ausdruck, und er war aus Menschensicht sehr glücklich. Mein Katerchen konnte einem ganz unbeweglich tief in die Augen schauen, ohne zu blinzeln, und öfters haben wir Bäckchen an Backe aus dem Fenster geschaut und die Gegenwart des anderen genossen.

 

Das Ende kam plötzlich und unerwartet. Laut und kläglich miauend fand ich Nero blutüberströmt in der Nachbarschaft unter einem Auto liegend. Der Tierarzt sagte, dies sei eine typische Verletzung durch einen Balkenmäher. Die beiden Hinterläufe waren angemäht. Herr Dr. E. wagte noch eine Notoperation - aber vergeblich. Die Wunden eiterten, und mein Herzenskater musste eingeschläfert werden. Er starb in meinen Armen.

 

Nero ist unvergesslich. Er legte den Maßstab für alle weiteren Katzennachfolger, und seinen ‚Neroblick' suche ich in allen Katzenaugen.

 

von Cornelie Bühler-Krimmer